Warum können Züge nur auf wenigen Strecken Hochgeschwindigkeit fahren?

14. Februar 2023 | Industrie Service: Je nach Zugbeeinflussungssystem können Züge schneller oder enger getaktet unterwegs sein.

Sind Ihnen am Bahnsteig beim Warten auf den Zug seltsame kleine gelbe Kästen zwischen den Gleisen aufgefallen? Oder ein langes Kabel, mittig auf den Schwellen angebracht? Dabei handelt es sich um Zugbeeinflussungssysteme. Die Bahntechnik-Fachleute von TÜV NORD erklären, was es damit auf sich hat, welche Systeme in Deutschland im Einsatz sind und warum nur auf einer begrenzten Zahl von Strecken mit mehr als Tempo 160 gefahren werden kann.

Das bekannteste Zugbeeinflussungssystem ist natürlich das Streckensignal. Doch anders als Ampeln im Straßenverkehr handelt es sich nicht nur um optische Zeichen: Überfährt ein Zug ein Haltsignal, wird er zwangsgebremst, jedenfalls auf den allermeisten Strecken in Deutschland, nur einige Nebenstrecken sind davon ausgenommen. Moderne Zugbeeinflussungssysteme übertragen die Informationen aus den Signalbildern in den Führerstand, informieren die Lokführerin oder den Lokführer so über weitere Haltepunkte und Geschwindigkeitsbeschränkungen im Streckenverlauf.

Wird ein Haltsignal übersehen oder ist der Zug zu schnell unterwegs, greift das System in die Zugsteuerung ein. Derartige Systeme sind für den sicheren Bahnbetrieb unerlässlich, insbesondere bei Hochgeschwindigkeitsfahrten; denn Züge haben einen sehr langen Bremsweg. Das ist auch der Grund dafür, dass Signale weithin sichtbar sein müssen. Ganz grob kann man sagen, dass ein ICE bei Tempo 80 einen Bremsweg von etwa 300 Metern hat, bei Tempo 160 rund einen Kilometer, bei Tempo 250 zirka drei Kilometer. Zum Vergleich: Ein Pkw kommt bei einer normalen Bremsung bei Tempo 80 nach 64 Metern zum Stehen, bei Tempo 160 nach 256, bei Tempo 250 nach 625 Metern.

Man unterscheidet grundsätzlich zwei Arten der Zugbeeinflussung: die punktförmige und die kontinuierliche Zugbeeinflussung. Von der Art der Beeinflussung hängt auch die mögliche Höchstgeschwindigkeit ab.

Das bewährte System: Punktförmige Zugbeeinflussung
Oft sind punktförmige Zugbeeinflussungssysteme in der Nähe von Signalen und Bahnübergängen angebracht. Sie sollen sicherstellen, dass das Fahrpersonal kein Haltsignal überfährt oder eine Geschwindigkeitsbegrenzung nicht beachtet. Die Beeinflussung erfolgt durch Magnete im Gleis. Sie übertragen die Informationen beispielsweise über Beschränkungen an das Fahrzeug, die dort von der Elektronik im Fahrzeug ausgewertet werden. Sie löst bei Unaufmerksamkeit eine Zwangsbremsung aus.

In Deutschland wird seit Mitte der 1990-Jahre das System PZB 90 eingesetzt. Es ist eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Indusi, das 1934 eigeführt wurde. Etwa 97 Prozent der Strecken der Deutschen Bahn sind damit ausgerüstet. Der Abstand zwischen Vor- und Hauptsignal und die zu erwartenden Bremswege lassen höhere Geschwindigkeiten als Tempo 160 nicht zu – sie sind also nicht für Hochgeschwindigkeitsverkehr ausgelegt. Allerdings dienen sie als Rückfallebene für Strecken mit linienförmiger Zugbeeinflussung; denn auch dort sind diese punktförmigen Zugbeeinflussungssysteme verbaut.

Für hohe Geschwindigkeiten gemacht: Linienförmige Zugbeeinflussung
Bei Systemen der kontinuierlichen oder linienförmigen Beeinflussung werden mehrfach pro Sekunde Informationen ausgetauscht. Übermittelt werden so beispielsweise die aktuelle Geschwindigkeit, die neue Höchstgeschwindigkeit am nächsten Geschwindigkeitswechsel und der Abstand bis dorthin. Das ist für den Hochgeschwindigkeitsverkehr unentbehrlich, denn nur so ist es der Lokführerin oder dem Lokführer möglich, bis zu 13 Kilometer weit „zu sehen“. Auf Strecken mit linienförmiger Zugbeeinflussung können sogenannte Blockabstände verkürzt werden, da alle Züge ständig ihre aktuelle Position und Geschwindigkeit an einen Zentralrechner melden, der die Fahrt überwacht. Normalerweise ist ein Block der Abstand zwischen zwei Hauptsignalen, hierbei wird der Bereich zwischen zwei Signalen aber in mehrere Teilblöcke unterteilt. Bei dieser Form der Zugüberwachung und -steuerung kann ein Zug die ersten Teilböcke schon befahren, obwohl der letzte Teilblock vor dem Signal noch von einem anderen Zug belegt ist. Da es hierbei zu Widersprüchen zwischen dem am Signal angezeigten Signalbegriff und dem auf das Fahrzeug übertragenen kommen kann, wird das betreffende Signal dunkel geschaltet, es zeigt also nichts an. Ausschlaggebend für die weitere Fahrt ist dann die Information im Führerstand. Deshalb müssten bei Strecken mit diesem System eigentlich keine Signale mehr stehen. In Deutschland sind derzeit rund 2.600 Kilometer mit linienförmiger Zugbeeinflussung ausgerüstet, das sind rund acht Prozent. Ein Hochgeschwindigkeitsverkehr ist mit linienförmiger Zugbeeinflussung möglich.

Als sichtbare Elemente kommen zwei Leiterkabel zum Einsatz, eins in der Gleismitte verlegt, das andere an einer Schiene. Alle hundert Meter wechseln die Stränge ihre Lage, also der aus der Gleismitte verläuft dann am Gleis und umgekehrt. Durch den Wechsel der Stränge im Zusammenspiel mit der Fahrzeugelektronik ist eine exakte Positionsbestimmung des Zuges möglich. Das wiederum ermöglicht das Fahren in kurzen Blockabständen und somit schnellen Zugfolgen. Züge können auch automatisch gesteuert werden.

  • Im Fahrzeug sind neben dem Fahrzeugrechner Sende- und Empfangsantennen verbaut, ebenso Sensoren für die Weg- und Geschwindigkeitsmessung, eine Einrichtung für eine Zwangsbremsung sowie eine modulare Führerstandsanzeige und ein Zugdateneinsteller, in den alle relevanten Daten des Zugs eingegeben werden wie beispielsweise Länge, Bremsart und die maximal erlaubte Geschwindigkeit.
  • Kernstück ist die LZB-Streckenzentrale mit den erforderlichen Rechnersystemen sowie Verstärkern und anderen elektronischen Geräten an der Strecke. An einigen Stellen stehen an der Strecke LZB-Bereichskennzeichen.

Die europaweit einheitliche Zukunft: Zugsicherung der Zukunft: ETCS

Das europäische Zugbeeinflussungssystem (European Train Control System, ETCS) soll langfristig 20 nationale Zugbeeinflussungssysteme ablösen. In Deutschland ging das System 2015 in Betrieb. Bis 2030 sollen in Deutschland 8.000 Streckenkilometer mit dem System ausgerüstet sein, bis 2023 etwa 1.800. Man unterscheidet grundsätzlich zwischen unterschiedlichen Stufen, den Leveln 0 bis 3.

  • ETCS Level 0: Bei dieser Stufe ist ein mit ETCS ausgerüstetes Fahrzeug auf einer Strecke ohne ETCS-Beeinflussung unterwegs. Überwacht wird nur die Höchstgeschwindigkeit. Die Lokführerin oder der Lokführer muss die Streckensignale beachten.
  • ETCS Level 1: Sogenannte Eurobalisen übermitteln punktförmig Daten zwischen Strecke und Fahrzeug. Zu den übermittelten Daten gehören unter anderem Streckenhöchstgeschwindigkeit und der Punkt, an dem das Fahrzeug halten soll. Abschnittsweise wird für die Datenübertragung auch das GSM-Mobiltelefonnetz (Euroradio) genutzt. Zwangsbremsungen sind möglich. Zwischen einem Vor- und einem Hauptsignal werden kontinuierlich Daten übertragen, um einen kontinuierlichen Zugfluss ohne abruptes Bremsen zu ermöglichen. In Deutschland wird eine vereinfachte Form des ETCS Level 1, der sogenannte Level 1 LS („Limited Supervision“) verwendet. Diese Form ist einfacher auf Bestandsstrecken nachzurüsten und orientiert sich beim Bedienkonzept sehr stark an punktförmigen Zugbeeinflussungssystemen.  
  • ETCS Level 2: Die Führung und Überwachung von Fahrzeugen übernimmt ab Level 2 die ETCS-Streckenzentrale (Radio Block Centre, RBC). Sie und das Fahrzeug stehen via Mobiltelefonnetz ständig in Kontakt. Ob ein Block frei ist oder nicht, wird mit an der Strecke fest installierten Achsenzählern ermittelt. Level 2 ist Voraussetzung für den Hochgeschwindigkeitsverkehr.
  • ETCS Level 3: Weil die Gleisfreimeldungen in Level 3 nicht von fest installierten Achszählern erhoben werden sondern durch die aktuelle Positionsmeldung der Fahrzeuge und somit dynamisch erfolgt, können Blockabschnitte weiter verkürzt werden, was zu einer Verdichtung der Zugfolge führen kann.

 

Mehr Informationen zum Segment Bahntechnik bei TÜV NORD: https://www.tuev-nord.de/de/unternehmen/verkehr/bahntechnik/

Über die TÜV NORD GROUP

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