1989 - 2019

DREI JAHRZEHNTE AUF DEM PRÜFSTAND

 

Wollen Fahrzeughersteller einen neuen Motor auf die Straße bringen, wird vorab geprüft, ob die Abgase den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Diese Aufgabe übernimmt das Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität von TÜV NORD (IFM) seit über 30 Jahren. Damals sprach man bei Dieselabgasen teilweise noch von sichtbarem Rauch. Heute misst TÜV NORD Partikel im Nanometerbereich und berät die EU bei der Debatte um CO₂-Grenzwerte. Martin Kleinebrahm und Dr. Martin Goschütz über Abgasuntersuchungen gestern, heute – und morgen.

 

Martin Kleinebrahm (57) studierte Maschinenbau in Aachen. 1989 ging er zurück in seine Heimatstadt Essen, ans Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD. Auch Martin Goschütz (34) studierte in Aachen, jedoch Kraftwerkstechnik. Zum IFM kam er 2017, nachdem er zuvor am Institut für Verbrennung und Gasdynamik in Duisburg promoviert hatte. Als Mitarbeiter im Bereich Powertrain/Emissions – Engine Dyno sind beide an den Prüfständen von TÜV NORD sowie an denen der Autohersteller tätig

 

 

Herr Kleinebrahm, Sie sind seit 1989 an den Prüfständen tätig, was hält diesen Beruf bis heute spannend?

 

Martin Kleinebrahm (MK) Ein Motor ist ja nie perfekt, selbst wenn er noch so rund läuft: Er ist immer auch eine Maschine, die verlustbehaftet ist. Hunderte der besten Ingenieure arbeiten ihr Leben lang daran, diese Verluste zu minimieren. Und wir prüfen, ob sie dabei die Abgase genügend im Blick haben. So erhalten wir direkte Einblicke in alle Innovationen und sind immer vorne mit dabei.

 

Herr Dr. Goschütz, Sie sind seit zwei Jahren bei TÜV NORD, was hat Sie beim Einstieg besonders überrascht?

 

Dr. Martin Goschütz (MG) Die Vielfalt der Aufgaben, ich hatte mir das Profil der Tätigkeiten nicht so komplex vorgestellt. Klar, ich kannte den TÜV von der Hauptuntersuchung inklusive AU. Was aber geleistet wird, bevor Motoren überhaupt ihre Erstzulassung erhalten – das war mir nicht bewusst. Neu war für mich auch, dass TÜV NORD in Brüssel die EU-Kommission berät. Diese Aufgabe habe ich gerne übernommen, weil ich es für sehr wichtig halte, dass wir unser technisches Know-how nutzen, um mit den Entscheidern über sinnvolle Messverfahren und Grenzwerte zu diskutieren.

 

Waren Abgase vor 30 Jahren schon ein Thema?

 

MK Das schon, es begann bereits in den 1960er-Jahren. Man sprach bei Dieselmotoren allerdings noch von »sichtbarem Rauch«, sprich: kritisch wurde es eigentlich erst, wenn man die Abgase wirklich sehen konnte. Heute denken wir in anderen Dimensionen. Eine Abgasemissionsvorschrift hatte damals vielleicht 40 Seiten. Heute hat sie für den gleichen Motortypus mal locker 400 Seiten …
MG … deren Inhalt sich auch noch permanent ändert. Wir messen die ausgestoßenen Partikel in Nanometern, das ist ein Milliardstel Meter. Entsprechend leistungsfähig muss die Messtechnik sein.

 

Warum sind Abgasmessungen heute komplizierter?

 

MK Früher waren Motoren rein mechanisch geregelt. Das heißt, dass es kaum Stellschrauben gab, um die Abgaswerte zu beeinflussen. Das änderte sich in den 1990er-Jahren mit den elektronisch geregelten Einspritzsystemen: Für Fahrzeugentwickler eröffneten sich neue Freiheitsgrade, und immer wenn solche neuen Freiheiten entstehen, sind wir zur Stelle. Wir prüfen die Abgase – stellen aber auch die Messverfahren selbst auf den Prüfstand.

 

Wie sieht eine solche Anpassung aus?

 

MK Früher wurden Motoren mit konstanten Drehzahlen und Lasten geprüft, hinten kamen Abgase raus – und wir haben gemessen. Mittlerweile steckt hinter jedem Motor noch eine kleine Chemiefabrik, die die Abgase verringert. Die Prüfverfahren simulieren deswegen heute eine Straßenfahrt, um die Emissionen realitätsnah zu messen. Daher sind die Prüfstände heute dynamisch oder sogar mobil.

 

 

TÜV NORD arbeitet zwischen Autoherstellern und Genehmigungsbehörde. Wie sehen Sie Ihre Rolle?

 

MG Einerseits beraten wir die Gesetzgeber, indem wir ihnen sagen, was aktuell überhaupt technisch möglich ist.
MK Andererseits sind wir aber auch als Technischer Dienst unterwegs und führen gemeinsam mit den Autoherstellern alle notwendigen Prüfungen durch, damit die Autos auf die Straße kommen. Wir achten dabei auf die richtige Durchführung der vorgeschriebenen Prüfungen und dokumentieren die Ergebnisse. So sichern wir eine vorschriftenkonforme Typprüfung für die Fahrzeuge.
MG Letztendlich gibt es für unsere Arbeit klare Vorgaben: Regulierungen und Verordnungen geben das Messprozedere vor und die Messtechnik liefert eindeutige Daten – da gibt es keinen Spielraum für Auslegungen.

 

Aber nur, wenn alle Seiten ihren Job richtig machen.

 

MG Unser Vorteil ist, dass wir eigene Prüfstände betreiben. Für eine gültige Messung gibt es etliche Parameter, die in diesen rund 30 Testminuten passen müssen.
MK Wir wissen aus Erfahrung, worauf es ankommt. Andere Dienstleister, die Messungen ohne eigene Prüfstände durchführen, können das oft weniger gut einschätzen.

 

Macht der technische Fortschritt Ihre Arbeit leichter – oder noch komplizierter?

 

MK Er hilft uns, immer neue Messtechniken zu entwickeln. Etwa in unseren mobilen Emissionsgeräten, die wir am Auto anbringen, bevor wir es auf die Straße lassen. Oder bei einem Messverfahren, bei dem wir einen Laserstrahl durch die Messkammer schicken, und immer wenn er auf ein Partikel trifft, entsteht eine minimale, aber messbare Druckschwingung. So kommen wir der Rußmasse auf die Schliche.
MG Die Digitalisierung hilft uns auch beim Auswerten der Messergebnisse – denn je komplexer diese werden, desto komplizierter sind sie auch zu bewerten. Durch den Fortschritt verändern sich zudem die Motoren selbst. Damit kommen auch neue Steuergeräte der Hersteller zum Einsatz, die gewissermaßen eine Blackbox für uns darstellen: Wir überprüfen die Gesamtfunktionalität von Motor, Abgasnachbehandlung und elektronischen Steuergeräten.

 

Welche neuen Szenarien wird die Zukunft bringen?

 

MK Die künstliche Intelligenz wird weitere Chancen ergeben. Ich denke an smarte Motoren, die sich selbst für bestimmte Einsätze optimieren, abhängig davon, ob sie lange Strecken fahren oder eher Stop-and-go unterwegs sind.
MG Das wird so weit gehen, dass wir für beinahe jedes Fahrzeug eine individuelle Simulation ansetzen, je nachdem, mit welchen Komponenten es ausgestattet wird und wie es zum Einsatz kommt. Bei Nutzfahrzeugen wird das heute schon so gemacht, mit dem Ziel, dass der Kunde beim Kauf die genauen Daten über den Kraftstoffverbrauch erhält. Das erzeugt Transparenz, bedeutet aber auch eine Menge Arbeit.

 

Werden wir Verbrennungsmotoren noch brauchen, wenn alternative Antriebe den Durchbruch schaffen?

 

MG Es wird die Verbrennungsmotoren noch sehr lange geben, davon bin ich überzeugt. Im Bereich der Pkws steht zwar ein Wandel bevor, für den Bereich der Nutzfahrzeuge und mobilen Maschinen sehe ich den Diesel jedoch auch in Zukunft als Hauptantrieb: Die Energiedichte von einem Liter Kraftstoff, der Preis und die Verfügbarkeit sind bislang konkurrenzlos.