Wenn Aufzüge sprechen lernen

Intelligente Technik, vernetzte Sensoren, Echtzeit-Daten: Auch Aufzüge sollen bald zum »Internet der Dinge« gehören. TÜV NORD arbeitet an einer Anlagenprüfung der Zukunft.

Ein Kuriosum im Land der Behörden und Paragrafen: Niemand weiß, wie viele Aufzüge es genau in Deutschland gibt. Der Verband der TÜV (VdTÜV) schätzt die Zahl der überwachungsbedürftigen Aufzugsanlagen auf 690.000. Laut Anlagensicherheitsreport 2015 werden wahrscheinlich etwa 150.000 Aufzüge nicht überprüft. Über die möglichen Sicherheitsmängel lässt sich nur spekulieren. Selbst bei den erfassten Aufzügen stellten die Spezialisten einen Anstieg der Anlagen mit erheblichen Mängeln auf 7,4 Prozent fest. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Bei knapp 57 Prozent der Aufzüge gab es nichts zu beanstanden.

Aufzüge gelten gemeinhin als das sicherste Transportmittel der Welt. Damit das so bleibt, müssen sie, sowie Autos, alle zwei Jahre von einer so genannten Zugelassenen Überwachungsstelle (ZÜS) wie TÜV NORD in einer Hauptprüfung auf Herz und Nieren überprüft werden. Hinzu kommen noch Zwischenprüfungen, so dass ein Lift unter dem Strich mindestens einmal im Jahr durchgecheckt wird.

Komplexe Kontrollen

Die Hauptprüfung ist eine zeitaufwendige Angelegenheit. »Die Kontrolle ist sehr umfassend und komplex«, erklärt Martin Kisch vom Corporate Center Innovation. Er ist Manager des Projekts »Digitale Aufzugsprüfung« von TÜV NORD, das den Prozess dank digitaler Hilfsmittel effizienter gestalten soll – ohne das Sicherheitsniveau zu verschlechtern. Bei der Hauptprüfung wird der TÜV-Prüfer durch einen Monteur der Wartungsfirma unterstützt. Vor Ort werden sämtliche Komponenten wie Antrieb, Bremse und Türen in Augenschein genommen und auf ihre Funktionstüchtigkeit hin überprüft. Der Prüfer führt die einzelnen Kontrollen in der Kabine oder im Schacht des Aufzugs durch.

Zu den aufwendigsten Checks gehört die so genannte Treibfähigkeitsprüfung bei Aufzügen mit Seilantrieb. Dabei wird ermittelt, wie viel Gewicht der Antrieb bewegen kann, bevor die Seile anfangen, über die Treibscheibe zu rutschen. Dank des von TÜV NORD patentierten elektronischen Prüfverfahrens ASIS II sind dazu keine Belastungsgewichte nötig. Vielmehr wird der Aufzug sprichwörtlich in Ketten gelegt. Diese Ketten wiederum sind mit Kraftsensoren ausgestattet und fixieren die Kabine in einer bestimmten Position. Anschließend wird die Leistung des Motors so lange gesteigert, bis die Seile über die Treibscheibe rutschen. Die Ergebnisse werden auf dem Laptop des Prüfers gesammelt und ausgewertet.

Von den Ketten befreit

Ein fachübergreifendes TÜV NORD-Team entwickelt derzeit eine App, um die Prüfergebnisse vor Ort via Smartphone oder Tablet anstelle der Laptops auswerten zu können. »Das erhöht die Bedienbarkeit, spart Zeit und steigert so die Produktivität, ohne dass Sicherheit und Zuverlässigkeit leiden«, sagt Kisch. TÜV NORD führt bereits erste Praxistests mit der innovativen App in Deutschland durch. In den Niederlanden ist ein ähnliches System schon im Einsatz. Auch die ASIS II-Messung soll noch weiter optimiert werden. So ist beispielsweise eine Treibfähigkeitsprüfung auf Basis von Beschleunigungssensoren in Arbeit, die ohne die schweren und unhandlichen Ketten auskommt. Zudem soll ein WLAN-Modul in die Messbox integriert werden, um die Datenübertragung von der Kabine zum mobilen Endgerät weiter zu vereinfachen.

Mit der Umstellung der Anlagenprüfung auf mobile Endgeräte ist das Innovationsprojekt »Digitale Aufzugsprüfung« aber bei Weitem noch nicht abgeschlossen. Denn in Zukunft sollen Aufzüge zum »Internet der Dinge« gehören, also Daten online austauschen, ohne auf den Menschen angewiesen zu sein. »Wir wollen Aufzügen quasi das Sprechen beibringen«, sagt Kisch. Dazu benötigen sie vernetzte Sensoren, die ihre Messdaten direkt via Internet weitergeben. Mithilfe der intelligenten Technik sollen Aufzüge eines Tages in der Lage sein, Fehler selbstständig zu identifizieren und über das Internet zu warnen, möglichst noch bevor ein Schaden oder Ausfall entsteht. Sachverständige könnten dann auf diese detaillierten Daten im Zuge ihrer Prüfung zurückgreifen.

Die neue Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV)

Personenaufzüge müssen gemäß der im Juni 2015 in Kraft getretenen BetrSichV regelmäßig durch eine Zugelassene Überwachungsstelle (ZÜS) wie TÜV NORD überprüft werden. Das Ergebnis muss vor Ort aufbewahrt werden und der zuständigen Behörde zugänglich sein.

Um dieser Forderung effizient und umweltschonend nachzukommen, setzt TÜV NORD Aufkleber mit Quick-Response-Codes (QR-Codes) ein. So haben Anlagenbetreiber oder andere autorisierte Benutzer jederzeit die Möglichkeit, sich bequem über QR-Code beispielsweise mithilfe eines Smartphones Zugang zur Prüfbescheinigung und zu anderen Daten zu verschaffen. Diese liegen auf einer geschützten TÜV NORD-Extranetseite.