Die Basis der vernetzten Welt

Die Basis der vernetzten Welt

Halbleiter sind in unserem Alltag allgegenwärtig, obwohl wir sie kaum zu Gesicht bekommen. Sie stecken in allen technischen Geräten, von Haartrocknern bis hin zu Satelliten. Im Interview gewährt Holger Krumme, Geschäftsführer der HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH und HTV Conservation GmbH, Einblicke in diese verborgene Welt.

Geschäftsführer Holger Krumme ist stolz auf die Dienstleistungen von HTV. Als eines von wenigen Unternehmen weltweit konserviert HTV elelektronische Komponenten bis zu 50 Jahre lang in einem Hochsicherheitslager.

Herr Krumme, im Februar 2023 hat die TÜV NORD GROUP über die Tech-Tochter ALTER die Mehrheit an der HTV Group übernommen. Welche Rolle spielt HTV in der Welt der Halbleiter?

Halbleiter sind die Grundbausteine von Mikrochips, also diese schwarzen Plättchen mit den vielen Metallpins, wie man sie auf allen Leiterplatten findet. Sie sind die Basis für unsere vernetzte Welt. Ohne sie könnten wir weder telefonieren noch Auto fahren. Wir hätten nicht einmal elektrischen Strom, denn in jedem Windrad und in jedem Kohlekraftwerk sind unzählige Mikrochips verbaut. Bei HTV sorgen wir dafür, dass unsere Kunden, die unter anderem aus der Automobilbranche, der Medizintechnik und der Industrie kommen, nur die hochwertigsten Chips verarbeiten. Gerade in diesen Branchen kommt es ganz besonders darauf an, dass die Produkte möglichst lange und sicher funktionieren.

 

Mit welchen Anliegen kommen Kunden zu Ihnen?

Angefangen haben wir vor 36 Jahren damit, elektronische Bauteile und Baugruppen zu testen, vor allem für Industrieanwendungen. Nicht alle Teile, die man vom Elektronikhändler bekommt, haben die gleiche Qualität. Wir übernehmen die Selektion, das heißt, wir prüfen alle Bauteile und geben nur Produkte an den Kunden weiter, die seinen Qualitätsansprüchen genügen.  

Wir programmieren auch Bauteile. Ein Mikrochip an sich ist funktionslos; man kann denselben Chip dazu verwenden, am Auto den Rückspiegel zu verstellen oder das Fenster hoch- und runterzufahren, das hängt von der Programmierung ab. Der Autobauer schickt uns die entsprechende Software, und wir übertragen sie auf die Chips: „Flashen“ nennt man das.

Kunden kommen auch mit fehlerhaften Bauteilen und Baugruppen zu uns, damit wir die Ursache herausfinden. Dafür haben wir ein eigenes, akkreditiertes Institut für Materialanalyse. Materialbrüche untersuchen wir zunächst mit dem Lichtmikroskop, um die Oberfläche zu beurteilen. Mit dem Rasterelektronenmikroskop können wir noch mehr Details sichtbar machen, und die metallografische Analyse liefert Einblicke in den inneren Aufbau von Materialien. 

 

Wie haben Sie die Halbleiterkrise 2020 bis 2022 erlebt?

Wenn eine Ware knapp und dementsprechend teuer ist, versuchen Fälscher, ein Geschäft mit Nachbildungen zu machen. So war es auch mit Mikrochips. Unsere Kunden hatten in dieser Zeit viel mit Fälschungen zu tun, und wir haben häufig geprüft, ob die gelieferte Ware wirklich vom angegebenen Hersteller stammt. Die Fälscher verfeinern ihre Methoden ständig, und damit sind Nachbildungen immer schwieriger nachzuweisen. Ein Beispiel: Wenn sich die Beschriftung eines Chips mit einem Lösungsmittel abwischen lässt, ist sie gefälscht, denn die Originaldaten werden mit einem Laser aufgebracht und sind damit unverwischbar. Bei neueren Fälschungen reicht der Wischtest nicht mehr aus, weil die Schrift in zusätzliche, lösungsmittelfeste Schichten eingebettet ist. Hier machen wir die Originalschrift in der untersten Schicht mit einem Ultraschallverfahren sichtbar. Wir öffnen aber auch Bauteile und überprüfen, ob das Innenleben mit der Beschriftung übereinstimmt.

Hatte der Mangel an Halbleitern Auswirkungen auf andere Geschäftsfelder?

Ja, auch bei der Langzeitlagerung stieg die Nachfrage. Wer hochwertige Chips beschaffen konnte, hat sich einen Vorrat angelegt, um in Zukunft Nachschubprobleme zu vermeiden. Die Lieferfristen haben sich mittlerweile zwar weitgehend normalisiert, aber das Thema Lagerung bleibt ein Dauerbrenner, weil Chiphersteller auch immer wieder Produkte nicht mehr herstellen. Verschwindet eine Chipserie aus dem Programm, gibt es für unsere Kunden zwei Möglichkeiten: Sie müssen ihr Produkt überarbeiten, um es an die neue Serie anzupassen. Die Alternative ist, so viel Material einzulagern, dass die ursprüngliche Produktversion bestehen bleiben kann und genügend Ersatzteile vorrätig sind. Gerade Medizintechnikprodukte sind sehr langlebig und enthalten aufwendig zertifizierte Baugruppen. Die Hersteller möchten natürlich eine Überarbeitung und damit eine erneute Zertifizierung vermeiden und lagern deshalb lieber ein.

Ein Experte untersucht mit dem akustischen Mikroskop eine Leiterplatte. Die Methode ist zerstörungsfrei, sodass die Platte weiterverwendet werden kann.

 

„Wir nehmen unseren Kunden die Sorge vor Diebstahl, Brand und Natur­katastrophen.“

Holger Krumme, Geschäftsführer HTV Halbleiter-Test & Vertriebs-GmbH und HTV Conservation GmbH

 

Warum lassen Unternehmen Bauteile bei Ihnen konservieren, anstatt sie selbst einzulagern?

Frisch produzierte Halbleiter kann man nicht einfach ins Regal legen, um sie irgendwann weiterzuverarbeiten. Wird ein Mikrochip nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren verbaut, können die Kontakte oxidieren, dann fließt kein Strom mehr. Aus den Lötmassen und Kunststoffen gasen Weichmacher und Lösungsmittel aus, außerdem verändert sich die Struktur der Trägermaterialien. Wir haben ein Verfahren entwickelt, das Korrosion verhindert und den Alterungsprozess stoppt. Bei der thermisch absorptiven Begasung (TAB®) packen wir die Bauteile in speziell beschichtete Tüten, füllen sie mit einem ausgefeilten Gasgemisch und legen zusätzlich noch Absorbermaterial dazu, das exakt auf die Materialien abgestimmt ist. Damit stellen wir Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit in dem Paket auf den optimalen Wert ein. Die Pakete lagern kühl in unserem Hochsicherheitsgebäude. Das besteht aus massivem Stahlbeton und wird mit aufwendiger Alarm- und Kameratechnik überwacht. Außerdem ist die Atmosphäre in den Lagerräumen so eingestellt, dass sich darin kein Feuer entwickeln kann. Damit nehmen wir unseren Kunden auch die Sorge vor Diebstahl, Brand und Naturkatastrophen.

In regelmäßigen Abständen überprüfen wir die Bauteile aus dem Lager. Das heißt, wir setzen sie mindestens einmal pro Jahr unter Strom und testen, ob sie noch funktionieren. Dadurch behalten Elektrolytkondensatoren ihre elektrischen Eigenschaften. Die niedrigen Temperaturen verhindern, dass sich die Elektrolyte verflüchtigen. So gewährleisten wir Lagerfristen von bis zu 50 Jahren. Diese Dienstleistung ist meines Wissens weltweit einzigartig, deshalb reicht unser Kundenkreis auch bis nach Osteuropa und Hongkong.

Bei Bauteilen zweifelhafter Herkunft zeigt eine Röntgenuntersuchung, ob das Bauteil überhaupt einen Chip enthält.

Sie macht auch sichtbar, wenn feinste Verbindungs­drähte gebrochen sind.

 

Was halten Sie von den Plänen, mehr Chiphersteller in Europa und Deutschland anzusiedeln?

Die Coronazeit und die Halbleiterkrise haben deutlich gemacht, dass es für die deutsche und die europäische Wirtschaft wichtig ist, wieder unabhängiger von asiatischen Herstellern zu werden. Das Ziel, schon bis 2030 mehr Produktionsstätten in Deutschland anzusiedeln, ist ambitioniert. Selbst wenn es länger dauern sollte, ist es auf jeden Fall wichtig, die Welle jetzt ins Rollen zu bringen; dann wird sich nach und nach ein Ökosystem entwickeln. Im sogenannten Silicon Saxony rund um Dresden kann man das schon gut beobachten.

Für die HTV Group ist der Ausbau der Produktionskapazitäten natürlich vorteilhaft. Als erfahrener Dienstleister für Tests und Prozessentwicklung können wir sofort einsteigen, wenn der neue Markt Fahrt aufnimmt. Wir planen, neue Kapazitäten für das Packaging aufzubauen; das ist der Prozess, bei dem Halbleiter mit dem schwarzen Gehäuse ummantelt und mit Anschlusspins versehen werden. Das machen die Halbleiterhersteller nicht selbst, sondern vergeben es an Dienstleister. Weil wir Teil von ALTER sind, haben wir als eines von wenigen Unternehmen in Europa Zugriff auf diese Kompetenz.

Mit hochmodernen vollautomatischen Großtestsystemen überprüft das HTV-Team mehrere hunderttausend Teile pro Tag.

Wie wirkt sich die Übernahme durch die TÜV NORD GROUP auf Ihre Arbeit aus?

Die Zusammenarbeit war von Anfang an sehr angenehm, und wir sehen viele Möglichkeiten für Synergien. Die TÜV NORD GROUP ist sehr stark in der Luft- und Raumfahrttechnik, das eröffnet uns den Zugang in einen ganz neuen Industriebereich. Baugruppen, die beispielsweise in Satelliten verbaut sind, müssen unter extremen Bedingungen lange Zeit funktionieren. Sie müssen Vakuum, Weltraumstrahlung und starke Temperaturschwankungen aushalten.

Wir bringen wiederum Kompetenzen ein, die bei der TÜV NORD GROUP nicht so ausgeprägt sind. In der Raumfahrt arbeitet man mit eher kleineren Stückzahlen. Wir können automatische Handling-Systeme zum Testen und Verarbeiten von Serienstückzahlen anbieten, wie es beispielsweise im Automotive-Bereich erforderlich ist; außerdem Dienstleistungen wie die Programmierung und die Langzeitlagerung.

Die Bedingungen für Raumfahrtforschung sind in Deutschland sehr gut. Wir freuen uns deshalb besonders, dass sich unsere Kompetenzen hier bestens mit denen der TÜV NORD GROUP ergänzen. So können wir in Zukunft ein gemeinsames Forschungsfeld erarbeiten.