Know-how für moderne Bahnhöfe

Know-how für moderne Bahnhöfe

Indien ist ein Land der Superlative. Seine Fläche ist riesig, die Wirtschaft wächst, und die Bevölkerung ist die größte der Welt. Der indische Staat investiert gigantische Summen, damit seine Verkehrsinfrastruktur den steigenden Anforderungen gerecht werden kann. Allein ein Programm für die Modernisierung von Bahnhöfen lässt er sich umgerechnet 30 Milliarden Euro kosten. TÜV India konnte sich lukrative Aufträge im Projektmanagement und der Projektsteuerung sichern.

 

Jeden Tag fahren in Indien 23 Millionen Menschen mit mehr als 10.000 Personenzügen. Dazu kommen 7.000 Güterzüge, die drei Millionen Tonnen Fracht befördern. Das Schienennetz Indiens ist mit 68.000 Kilometern Länge das viertgrößte der Welt. Betreiber ist die staatliche Eisenbahngesellschaft Indian Railways, mit etwa 1,3 Millionen Mitarbeitenden der größte Arbeitgeber in Indien und der achtgrößte weltweit. Das indische Schienennetz ist aber nicht nur eines der größten der Welt, es ist auch eines der ältesten. Über die Hälfte der Anlagen stammt noch aus der Kolonialzeit: Strecken, Stellwerke, Züge und Waggons sind oft älter als 70 Jahre und bedürfen dringend einer Modernisierung. Das gilt auch für die meisten der Bahnhöfe, von denen es landesweit 7.325 gibt.

 

 

 

 

 

 

 

„Das ‚Amrit Bharat Station Scheme‘ soll Bahnhöfen neues Leben einhauchen“, erklärt Velayutham Viswanathan, Senior Executive Vice President of Railway, Building and Renewable bei TÜV India. „Amrit Bharat“ bedeutet „unvergängliches Land“ und ist der Name eines Programms des indischen Eisenbahnministeriums. Es sieht 30 Milliarden Euro vor, mit denen Indian Railways in den nächsten fünf Jahren 1.275 seiner Bahnhöfe umbauen und modernisieren soll. Die Ziele des Programms sind ambitioniert: Aus den angejahrten Bahnhöfen sollen moderne Reisezentren werden, die Menschen sollen von dort ähnlich bequem reisen wie von einem internationalen Flughafen aus. Deshalb sind neben der Modernisierung von Zugängen mit Aufzügen und Rolltreppen oder neuen sanitären Einrichtungen auch bequeme und klimatisierte Warteräume, moderne Fahrgastinformationssysteme, kostenloses WLAN, Lounges oder Räume für geschäftliche Treffen vorgesehen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Bahnhof als Stadtzentrum

Ein weiteres Ziel der Umbauten ist es, die Bahnhöfe besser an die umliegenden Gemeinden anzubinden. So sollen sie für Pendler, aber auch für die breite Öffentlichkeit zu einer Art Stadtzentrum werden, mit einem großzügigen, überdachten Platz und Einrichtungen wie einem Food Court oder einem Spielbereich für Kinder. Die Initiative „One Station One Product“ (OSOP) zielt darauf ab, einen Markt für lokale Produkte zu schaffen. Die Bahnhöfe bieten Möglichkeiten, einheimische Produkte prominent zu platzieren und zu verkaufen. Das eröffnet für die Menschen vor Ort Einkommensmöglichkeiten. Gleichzeitig können sich Reisende darauf verlassen, dass die Qualität der im Bahnhof angebotenen Waren gewährleistet ist. Das „Amrit Bharat Station Scheme“ Teil eines ganzen Bündels von Regierungsinitiativen, mit denen die Verkehrsinfrastruktur den wachsenden Anforderungen gerecht werden soll. Dabei gibt es zahlreiche Berührungspunkte, zum Beispiel mit dem „Gati Shakti Scheme“, bei dem es um den Auf- und Ausbau multimodaler Verkehrsverbindungen geht, oder mit „Bharatmala“, einem Projekt, das die 550 Distrikthauptstädte Indiens mit einer mindestens vierspurigen Autobahn verbinden soll.

 

 

„Für TÜV NORD sind die Projekte ein großer Gewinn, und das nicht nur finanziell.“

Dr. Stefan Pöting, Executive Vice President Rail, TÜV NORD

 

 

 

„Bisher konnten wir bei den Ausschreibungen für das ‚Amrit Bharat Station Scheme‘ schon zehn Projekte gewinnen“, erklärt Viswanathan. Bei fünf davon, alles Bahnhofsgebäuden im südlichen Teil des Landes, haben die Arbeiten bereits begonnen. TÜV India erbringt im Rahmen der Umbauten Dienstleistungen in zwei Bereichen: Zum einen geht es um Services beim Projektmanagement für die Bahnhofsumbauten. Ingenieurinnen und Ingenieure von TÜV India übernehmen dabei im Namen des Verkehrsministeriums behördliche Aufgaben. Je nach der Zielsetzung des jeweiligen Projekts überprüfen sie Entwürfe, verifizieren und validieren, planen Termine, überwachen das Projekt und erstatten Bericht. Im zweiten Bereich geht es um die Eisenbahninfrastruktur, die zu den Bahnhöfen gehört. Auch Gleise, Weichen, Signalanlagen und Stellwerke werden im Rahmen des Programms modernisiert. Die Aufgaben der Ingenieure von TÜV India sind hier Dienstleistungen bei der Projektüberwachung. Sie stellen sicher, dass Bauarbeiten gemäß den vorher festgelegten Spezifikationen und Standards ausgeführt und dass Zeitpläne eingehalten werden. Die Projektwerte unterscheiden sich je nach Größe des Bahnhofs und Umfang der geplanten Umbauten. Als Dauer sind durchschnittlich zwei Jahre vorgesehen. Indian Railways vergibt die Aufträge in einer mehrstufigen Ausschreibung. Die Bewertung basiert auf der Methode „Quality cum Cost Based Selection“ (QCBS), bei der die technische Gewichtung bei 70 Prozent und die finanzielle bei 30 Prozent liegt.

 

Großer Gewinn für TÜV NORD

„Bei TÜV India sind wir stolz darauf, als behördliche Vertreter im Namen des Eisenbahnministeriums bei der Modernisierung der Bahnhöfe und ihrer Infrastruktur mitzuwirken“, erklärt Viswanathan. Sowohl für sein Unternehmen als auch für ihn persönlich sei die Aufgabe ganz besonders: „Für uns ist es ein Privileg, ein wichtiger Akteur bei diesem nationalen Entwicklungsprojekt zu sein.“ Von den über 2.000 Mitarbeitenden von TÜV India arbeiten 215 ausschließlich im Rahmen der zehn Bahnhofsprojekte, davon sind bis zu 20 Inspektorinnen und Inspektoren jedem Projekt als Schlüsselpersonen zugeordnet. Die Services im Bereich Projektmanagement übernehmen Experten aus dem Bausektor, für die Aufgaben im Rahmen der Projektüberwachung kommen sowohl Bauexperten als auch Eisenbahningenieure zum Einsatz. „Wir können bei den Arbeiten unsere ganze Expertise im Tief- und Eisenbahnbau einbringen“, so Viswanathan.

„Für TÜV NORD sind die Projekte ein großer Gewinn, und das nicht nur finanziell“, sagt Dr. Stefan Pöting, Executive Vice President Rail TÜV NORD. „Wir arbeiten mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Indien sehr intensiv zusammen. Unsere Perspektive ist es, ein starkes internationales Team zu bauen, das dann über Indien hinaus weltweit eingesetzt werden kann.“ Dabei gehe es um den Markt für Independent Safety Assessment, kurz ISA, also die unabhängige Sicherheitsüberprüfung und Zertifizierung von Fahrzeugen, Bauprojekten und vor allen Dingen von signaltechnischen Streckenausrüstungen. „Im Grunde genommen geht es immer um die unabhängige Überprüfung, ob alle Risiken sicher erkannt und abgestimmt sind, sodass Personen, die später das System betreiben oder benutzen, nicht zu Schaden kommen.“ 

 

 

„Für uns ist es ein Privileg, ein wichtiger Akteur bei diesem nationalen Entwicklungsprojekt zu sein.“

Velayutham Viswanathan, Senior Executive Vice President of Railway, Building and Renewable, TÜV India

 

 

 

Wertschätzung für Know-how

Dabei werde europäisches und besonders deutsches Know-how international sehr geschätzt, auch wenn es etwas teurer ist. „Als TÜV NORD GROUP haben wir eine Marke und einen Ruf zu verteidigen“, so Dr. Pöting. Dazu gehöre auch, über landesübliche Anforderungen hinauszugehen. Bei den Ausschreibungen für das „Amrit Bharat Station Scheme“ hat das zum Erfolg geführt. „Als wir mit den Kolleginnen und Kollegen in Indien unterwegs waren, haben wir auch die ausschreibenden Behörden besucht. Dort haben wir die Erfahrung gemacht, dass man der TÜV NORD GROUP eine hohe Qualität und damit ein hohes Sicherheitsniveau zutraut. Und dass man auch bereit ist, dafür zu bezahlen.“ Sowohl Dr. Pöting als auch Viswanathan sind zuversichtlich, weitere Aufträge im Rahmen des Riesenprojekts zu erhalten.

Viswanathan selbst liebt es, mit dem Zug zu reisen, vor allem mit seiner Familie. „Das ‚Amrit Bharat Station Scheme‘ ist eine der Maßnahmen, mit denen Zugreisen sicherer, sauberer und bequemer werden“, sagt er. „Wenn man die Zeit bedenkt, die man am Flughafen für die An- und Abreise braucht, für den Check-in und die Sicherheitskontrolle, dann dauert die Reise unter Umständen länger als mit dem Zug.“ Das gelte vor allem, wenn der Zug der Vande Bharat Express ist, ein Semi-Hochgeschwindigkeits-Zug, für dessen Inspektion TÜV India auch verantwortlich ist. „Wenn man die Reisedauer sieht und die Kosten vergleicht, dann ist der Zug bei Strecken bis zu 500 Kilometer die bessere Wahl. Vor allem, wenn die Bahnhöfe den gleichen Reisekomfort bieten wie Flughäfen.“