Raus auf die Straße

Seit September 2017 müssen neue Pkw auch auf der Straße beweisen, wie sauber sie sind. TÜV NORD ist Pionier in der mobilen Mess­technik PEMS, die europa­weit für realistischere Ab­gas­messungen und in Konsequenz für saubereren Straßen­verkehr sorgen soll.

 

Manche Autofahrerin und mancher Autofahrer mag sich künftig über die eigenartige Gerätschaft wundern, die das Fahrzeug des Vorausfahrenden auf einem Ausleger transportiert. Was aussieht wie ein kleines Stromaggregat oder eine futuristische Kühlbox ist tatsächlich ein „Portable Emission Measurement System“, kurz PEMS. Es misst während der Fahrt Stickoxide und Feinstaub aus den Abgasen eines Autos. Eine kleine Revolution mit großen Folgen; denn bislang wurden die Abgase von Autos ausschließlich unter Laborbedingungen auf dem Rollenprüfstand getestet. Der bisherige Labortest NEFZ („Neuer europäischer Fahrzyklus“) garantierte vergleichbare Messergebnisse, wurde aber zunehmend als praxisfern kritisiert und erwies sich zudem als manipulierbar. „Wir haben ja leider feststellen müssen, dass es Unterschiede gibt zwischen den Messungen im Labor und auf der Straße“, erklärt Helge Schmidt, Fachgebietsleiter Antrieb / Emissionen Pkw / Krafträder am Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM) von TÜV NORD. Prinzipielle Unterschiede zwischen Labor und Straße sind für Experten nicht neu. Doch der Dieselskandal 2015 hat die Dimension dieser Unterschiede verstärkt ins Bewusstsein der EU-Kommission gehoben und sie zum Handeln veranlasst.

Straßenrealität aus dem Rechner

Lässt sich mit Big-Data-Verfahren voraussagen, wie viel Abgas ein im Labor getestetes Auto in der Realität auf der Straße erzeugt? Um dieser Frage nachzugehen, beschreiten die Ab­gas­experten von TÜV NORD innovative Wege. In Zu­sammen­arbeit mit IBM füttern sie die künstliche Intelligenz „Watson“ mit ihren Mess­daten aus Labor und Straße. Die Ergebnisse sind durchaus viel­ver­sprechend. Ersetzen sollen solche Simulationen die echten RDE-Tests bei der Zu­lassung natürlich nicht. Allerdings könnten sie Auto­herstellern dabei helfen, die Ab­gas­reinigungs­systeme ihrer Fahr­zeuge bereits in der Entwicklung an die realen Erfordernisse auf der Straße anzu­passen.

Abgasreinigung verbessern

Neun von zehn Euro-6-Diesel-Pkw verfehlen auf der Straße die Grenzwerte, die sie bei der Zulassung unter NEFZ-Bedingungen nachgewiesen haben, ermittelte eine Studie. Im Schnitt stoßen sie 4,5 Mal mehr gesundheitsschädliches Stickoxid aus, als die Obergrenze der Norm vorgibt. Die auf der Straße gegenüber den NEFZ-Prüfstandsmessungen erhöhten Stickoxidwerte gelten aber als Grund dafür, warum die Stickoxidwerte in den Städten nicht wie erforderlich sinken. „Wenn wir tatsächlich auf der Straße messen, können wir den negativen Einfluss des Straßenverkehrs auf die Umwelt deutlich verringern “, erläutert Abgasexperte Schmidt das Ziel, auf das er mit seinen Kollegen hinarbeitet. Schließlich müssen die Hersteller auf genauere Messungen mit verbesserter Abgasreinigungstechnik reagieren, wollen sie eine Zulassung erhalten. Realistischere Messverfahren werden so zur Zukunftsaufgabe für sauberen Verkehr, zu der Schmidt und sein Team ihren Beitrag leisten.

Sauberer Verkehr durch präzise Messungen

Die Politik hat auf die Differenz zwischen Labor und Wirklichkeit mit strengeren Messverfahren reagiert. Im September 2017 ist europaweit in Kraft getreten, worauf auch die Experten von TÜV NORD in Arbeitsgruppen der EU und als Berater der Bundesministerien für Verkehr und Umwelt hingewirkt haben: Neue Autos müssen sich seither für die Typgenehmigung auf dem Rollenprüfstand dem realitätsnäheren „Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedure“ (WLTP) unterziehen, das den bisherigen NEFZ ablöst.

Nur jeder 10. moderne Diesel der Abgasnorm 6 ist im Alltag auf der Straße so sauber wie bei Tests im Labor. 90 % überschreiten die Grenzwerte für Stickoxide.

Aber auch realistischere Laborprüfungen sind immer nur eine Annäherung an die Wirklichkeit und bleiben prinzipiell manipulierbar. Deshalb wird ergänzend auf europäischer Ebene seit September 2017 über das „Real Driving Emissions-Verfahren“ (RDE) erstmals auch auf Straße gemessen. Schmidt und sein Team zählen zu den Pionieren der mobilen PEMS-Messtechnik. Bereits 2004 setzten sie im Rahmen eines Projekts für die Bundesanstalt für Straßenwesen eines der ersten PEMSMessgeräte in Europa ein. Seither arbeiten sie an ihrem Ziel: mit präziseren Messverfahren sauberen Verkehr zu befördern. 2010 ermittelten sie den realen Schadstoffausstoß von Dieselfahrzeugen im von Feinstaub und Stickoxiden geplagten Stuttgart. Im Auftrag der schwedischen Regierung testeten die TÜV-Experten seit 2012 den Abgasausstoß bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge. „Unsere Erfahrungen aus diesen Projekten sind dann auch in die Geräteentwicklung und in die neuen Vorschriften mit eingeflossen“, erläutert Helge Schmidt vom IFM.

Für vergleichbare Messergebnisse sind die Tests auf dem Rollenprüfstand mittelfristig nicht verzichtbar, so Schmidt. Einflussfaktoren wie zum Beispiel die Umgebungstemperatur lassen sich schließlich nur im Labor auf Knopfdruck reproduzieren. Dennoch sind natürlich auch die RDE-Tests auf größtmögliche Vergleichbarkeit ausgelegt. Neben den Fahrtanteilen auf Landstraße, Autobahn und in der Stadt sind etwa Mindest- und Höchstgeschwindigkeiten und Höhenunterschiede festgelegt.

Auch Serienfahrzeuge kontrollieren

Geht es nach Abgasexperte Schmidt sollten so künftig routinemäßig auch Serienfahrzeuge kontrolliert werden, die schon einige tausend Kilometer auf dem Tacho haben. Mensch und Umwelt hilft es schließlich wenig, wenn die Abgasreinigungstechnik im Alltagseinsatz nur noch mit halber Kraft arbeitet. Auch die für Klima und Verbraucher entscheidenden CO2-Emissionen und Kraftstoffverbräuche sollten künftig auch auf der Straße gemessen werden. Technisch ist das bereits möglich. Allerdings reagiert der CO2-Ausstoß sehr sensibel auf das Verhalten des jeweiligen Fahrers. „Deshalb ist es entscheidend, die Randbedingungen der Testfahrten zu definieren und die Bewertung der Messergebnisse voranzutreiben“, erklärt Schmidt. Eine Zukunftsaufgabe für saubereren Verkehr, zu deren Gelingen der Abgasexperte und sein Team ihren Beitrag leisten werden.