Städte haben einen Charakter

25. März 2022: Berlin steht für Weltoffenheit, München für Geselligkeit. Ist an solchen Klischees etwas dran?

Studien haben in der Mentalität der Deutschen tatsächlich regionale Unterschiede gefunden. Aber auch die Architektur trägt zum Charakter einer Stadt bei, berichtet der Psychologe Christian Müller von TÜV NORD.

2019 wertete eine Forschungsteam Umfragedaten von mehr als 73.000 Deutschen aus. Deren Angaben zur eigenen Person bestätigten Stereotype wie das der kühlen Norddeutschen und der aufgeschlossenen Großstädter. In Großstädten und in Süddeutschland beschrieben sich die Menschen als vergleichsweise extravertiert, also gesellig, und im Norden eher als introvertiert und zurückhaltend.

Überrascht waren die Forschenden, wie sich die Regionen in einem weiteren Merkmal unterschieden: der emotionalen Labilität, das heißt wie sehr die Menschen zu Ängsten, Ärger und anderen negativen Gefühlen neigten. „Wir sind auf eine Zweiteilung Deutschlands gestoßen, die überraschend klar der historischen Limes-Linie entspricht“, berichtete einer der Studienautoren, der Volkswirt Michael Fritsch von der Universität Jena. Südlich des römischen Grenzwalls – auf der einst von den Römern besetzten Seite – bescheinigten sich die Menschen eher eine emotional stabile Persönlichkeit als im Norden und Osten Deutschlands.

„Aber nicht nur die Menschen machen den Charakter einer Stadt aus“, sagt Christian Müller vom Medizinisch-Psychologischen Institut des TÜV NORD in Köln. „Auch die Architektur trägt dazu bei.“ Das zeigten unter anderem Studien des ‚National Trust for Historic Preservation‘, einer gemeinnützigen Organisation für den Erhalt historischer Gebäude in den USA. Sie hat einen ‚Character Score‘ entwickelt und damit Straßenblöcke von 50 großen US-Städten bewertet. Demnach bewegen sich Menschen zu Fuß lieber durch Viertel mit einer bunten Mischung aus alter und moderner Architektur: Sie laden eher zum Verweilen ein als Straßenzüge, in denen sich ein moderner Bauklotz an den anderen reiht.

Die Innenstädte der großen Metropolen unterscheiden sich sogar messbar darin, wie schnell die Menschen durch ihre Straßen laufen, so das Ergebnis einer klassischen Studie, die 1976 in der Fachzeitschrift ‚Nature‘ erschien. Das Forscherpaar Marc und Helen Bornstein hatte die Gehgeschwindigkeit von Passantinnen und Passanten in 15 Städten in Europa, Asien und den USA beobachtet. Damals zählte München zu den zwei Städten mit dem flottesten Laufschritt.

In einer ähnlichen Feldstudie um die Jahrtausendwende stand Frankfurt am Main auf Platz 5 von weltweit 31 Metropolen – noch vor Tokio und New York. Der Kauf einer Briefmarke am Postschalter ging in Frankfurt sogar schneller vonstatten als an jedem anderen der 30 Orte, an dem die Forschenden ihre Beobachtungen durchführten. Sie überprüften sogar die Uhren in den Banken: Am genauesten liefen sie erwartungsgemäß in der Schweiz.

Der Umgang mit Zeit gehört zu den lokalen Eigenheiten, der ‚Eigenlogik einer Stadt‘, so nennt es die Soziologin Martina Löwvonder TU Berlin. Sie und ihr Team untersuchten den Charakter von ausgewählten Städten in Deutschland und Großbritannien unter anderem am Beispiel der Organisation von Frisiersalons. In Frankfurt wolle man möglichst effektiv arbeiten und teile die Zeit daher tatsächlich strenger ein, stellte Martina Löw fest. Im benachbarten Darmstadt laufen die Uhren dagegen langsamer. Die Soziologin attestierte den Südhessen einen ruhigen, gar ‚phlegmatischen‘ Charakter.

Alteingesessene empfinden die lokalen Sitten in der Regel als normal. „Für Zugezogene können ungewohnte Gepflogenheiten aber eine Herausforderung darstellen“, gibt Christian Müller von TÜV NORD zu bedenken. Wer zum Beispiel an der Kasse ein zügiges Tempo bevorzugt, werde unruhig, wenn es gemächlich zugeht – und umgekehrt. „Manche ziehen immer wieder um, bis sie sich an einem Ort wohl fühlen“, sagt der Psychologe. „Die anderen finden einen Weg, mit den Eigenheiten umzugehen, und wollen sie eines Tages vielleicht gar nicht mehr missen.“

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