KNOWLEDGE CHANGES LIFE

Wie Wissen wirkt

Jede Erkenntnis bringt uns auf neue Ideen oder stellt uns – das hat das Jahr 2020 eindrucksvoll unter Beweis gestellt – vor ungeahnte Herausforderungen. Um auch dann in der Gesellschaft und bei Kunden neue Sicherheiten zu ermöglichen, arbeiten die Mitarbeitenden der TÜV NORD GROUP Hand in Hand und setzen ihre gesamte Expertise ein. Dabei kommen sie nicht selten selbst auf neue Ideen.

 

Lizenz zum »Hacken«

Wissen, das Vertrauen schafft:
Die Corona-Warn-App auf dem Prüfstand

Mitte Juni 2020 stand sie bereit: die deutsche Corona-Warn-App, entwickelt im Auftrag der Bundesregierung. Um die Pandemie einzudämmen und Infektionsketten zu unterbrechen, warnt sie unter bestimmten Voraussetzungen Nutzerinnen und Nutzer, wenn sie Kontakt mit einer infizierten Person hatten. »Es war absehbar, dass bei dieser App viele Menschen sensibel auf Datenschutzthemen reagieren, manche sogar eine staatliche Überwachung fürchten würden«, erinnert sich Dirk Kretzschmar, Geschäftsführer der TÜV Informationstechnik GmbH (TÜViT). »Für den Erfolg war es also entscheidend, direkt zum Start das Vertrauen in die App zu stärken. Eine erfolgreiche TÜV-Prüfung ist da ein wertvolles Signal.«

Timo Müller und Dirk Kretzschmar, TÜViT

 

Kretzschmar bot den Verantwortlichen an, die Corona-Warn-App eingehend auf IT- und Datensicherheit zu prüfen – und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) betraute TÜViT mit dieser Aufgabe. Weil die Zeit drängte – der Launch-Termin der App war bereits öffentlich bekannt gegeben worden – stellte Kretzschmar prompt eine Prüf-Taskforce auf die Beine. Dazu gehörte auch Timo Müller, langjähriger IT-Security-Consultant bei TÜViT, der auch als Hacker hätte Karriere machen können. Er ist auf sogenannte Pentests (Penetrationstests) spezialisiert. Das heißt, er analysiert IT-Systeme und prüft ihre Anfälligkeit für Hackerangriffe. Gemeinsam mit seinen Kollegen testete er die App Tag und Nacht in Schichtarbeit: »Wir befanden uns natürlich in einer Ausnahmesituation und unsere Motivation war riesig – allein aufgrund der hohen Bedeutung für die Gesellschaft.« In Zusammenarbeit mit den App-Entwicklern konnten alle identifizierten Schwachstellen sofort behoben werden.

 

Bis Ende Januar 2021 haben mehr als 25 Millionen Menschen die App heruntergeladen, um die Eindämmung der Pandemie zu unterstützen. Doch mit Rücksicht auf den Datenschutz kann die App ihr Potenzial für eine tiefgreifende Wirkung nicht voll ausschöpfen. Ob die Vorgaben dafür gelockert werden, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen, dass für den Schutz der Gesundheit auch die Digitalisierung der Gesundheitsämter dringend ansteht. Hier wird Cybersicherheit ebenfalls keine Option sein, sondern ein Muss – wie übrigens in jeder digitalen Anwendung sei es in der Industrie, in Smart-Home-Geräten oder in gewöhnlichen App-Updates. Kretzschmar betont, was dabei oft vergessen wird: »Cybersicherheit ist kein Zustand, sondern ein ständiger Prozess.«

 

 

Höchstleistungen unter Hochdruck

Wissen, das die Gesundheit schützt:
Geprüfte Atemschutzmasken für Pflegekräfte

Als die erste Corona-Welle Deutschland im März 2020 erreichte, lautete das Motto »Flatten the curve«. Was so leicht klang, entpuppte sich schnell als Kraftakt: die Eindämmung einer Pandemie. Während die Menschen Social Distancing und AHA-Regeln einübten, ging bei TÜV NORD CERT eine dringende Anfrage des Bundesgesundheitsministeriums ein. Die Zentralstelle für Sicherheitstechnik (ZLS), eine gemeinsame Behörde aller 16 Bundesländer, bat um Hilfe. Svenja Schneider, die das Projekt mit ihrem Team bei TÜV NORD CERT bis heute betreut, erinnert sich: »Die ZLS hatte ein massives Problem erkannt. Der Bedarf an Atemschutzmasken für Beschäftigte im Gesundheitswesen stieg so rasant an, dass massenhaft Produkte aus dem Ausland importiert wurden. Doch in Frage stand, ob deren Schutzwirkung den hohen Sicherheitsstandards in Deutschland entspricht.«

Dr. Dirk Renschen, DMT, und Svenja Schneider, TÜV NORD CERT

 

Um das zu prüfen, zog die Zertifizierungsstelle TÜV NORD CERT kurzerhand das Essener Team von DMT hinzu. Denn hier waren die erforderliche Laborausstattung und die langjährige messtechnische Expertise vorhanden. Dr. Dirk Renschen übernahm die Leitung des Prüfprozesses, der zwei große Herausforderungen mit sich brachte: die enorme Menge der importierten Masken und der kurze Zeitraum für ihre filtertechnische Prüfung auf hohem Qualitätsniveau. »Aber: Wir haben’s geschafft!«, resümiert Renschen nicht ohne Stolz. »Unser Team war Tag und Nacht im Einsatz, um die Masken zu testen und zu zertifizieren.« Auch Svenja Schneider erinnert sich an die Herausforderung: »Gelegentlich habe ich mich gefühlt wie im Auge eines Hurrikans. Aber unser Team war mit unglaublich großem Engagement bei der Sache. Die meisten kannten sich bis dato gar nicht – dennoch klappte der Workflow hervorragend. Oft nur online miteinander verbunden, arbeiteten wir trotzdem Hand in Hand.«

 

Neben dem Bewusstsein, einen wertvollen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet zu haben, hat sich auch der Blick für die Zukunft geweitet: Die Bedrohung durch Virusinfektionen wird bleiben, doch die Technik entwickelt sich weiter. In absehbarer Zeit könnten Nanofasern die Schutzwirkung der Masken steigern, neue Messtechniken immer feinere Partikel erkennen – und vielleicht genügt in zehn Jahren ein kurzer Blick aufs Smartphone, um die Virusbelastung im Restaurant oder Klassenraum zu erkennen.

 

 

Steiler geht’s nicht: Unsere Lernkurve

Wissen, das keine Grenzen kennt:
Die TÜV-Akademien stellen auf Online-Bildung um

Zwischen Trupti Dalal und Tamara Stübenrath liegen rund 8.000 Kilometer – doch beide standen im Jahr 2020 vor der gleichen Herausforderung. Für die TÜV India Training Academy und die TÜV NORD Akademie war – ausgelöst durch den coronabedingten Shutdown – plötzlich ein kompletter Wechsel von Präsenz- zu Online-Unterricht nötig. Stübenrath, die in Stuttgart für die Seminarorganisation tätig ist, berichtet: »Unser Team hat praktisch von heute auf morgen unzählige Bildungsangebote in neue digitale Formate gebracht: Webinare, Livestream-Trainings und Online-Fachtagungen. Wir haben es geschafft, von April bis Dezember rund 3.000 Menschen in 365 Schulungen fortzubilden.«

Trupti Dalal, TÜV India, und Tamara Stübenrath,  TÜV NORD Akademie

 

Die indische Trainingsakademie meldet vergleichbare Zahlen: rund 6.000 Menschen in mehr als 200 Schulungen von April bis August. »Hinter diesem Ergebnis steckt, unter der Leitung unseres Geschäftsführers Manish Bhuptani, eine Teamleistung von Kolleginnen und Kollegen aus ganz Indien«, erläutert Trupti Dalal. »Dass unsere Programme online verfügbar sind, hat den Vorteil, dass man Reisezeit und -kosten spart und bequem ortsflexibel am Training teilnehmen kann.« Die komplexen technischen Anforderungen waren für Dalal, die Managerin für Digitalisierung ist, kein Neuland. Als agile Einheit hat die TÜV India Training Academy bereits vor der Pandemie ihr Bildungsangebot digital weiterentwickelt. »Doch 2020 war selbst für uns bahnbrechend«, räumt sie ein. »Das Corona-Virus hat einen gewaltigen Digitalisierungs-Turbo ausgelöst.« Tamara Stübenrath bestätigt das: »Manches, was noch im Januar ein Ding der Unmöglichkeit war, ist nur wenige Monate später bereits Normalität. Zum Beispiel virtuelle Seminare, in denen ein persönlicher Austausch zwischen Referierenden und Fachpersonal stattfindet.«

 

Dass digitale Bildung von jedem Ort aus möglich ist, erhöht nicht nur den Komfort für alle, die teilnehmen oder das Seminar leiten. Es ist auch profitabel für Unternehmen, die regelmäßig ihre Beschäftigten schulen, um für den Beruf erforderliche Zertifikate zu erwerben. Moderne Seminartechnik erlaubt es, dass sogar Zertifikatsprüfungen online absolviert werden können. 2020 ging die Lernkurve steil bergauf. Und sie steigt weiter. In Zukunft wird digitales Lernen nicht nur Standard sein – die Qualität wird stetig wachsen, technisch wie inhaltlich.

 

 

Das Unsichtbare sichtbar machen

Wissen, gewonnen aus künstlicher Intelligenz:
Wie Tauchroboter die Welt bereichern

Die besten Ideen entstehen nicht unter der Dusche, sondern dann, wenn man vor einem Dilemma steht. Genauso war es 2018, als TÜV Nord Baltik mit der Inneninspektion eines Kraftstofftanks beauftragt wurde. Dafür ist die vollständige Leerung des 5.000 Kubikmeter großen Tanks notwendig. Dieser sonst übliche Vorgang stellte sich hier als logistische Hürde heraus: Das Zwischenlager der Auftraggeberin lag 30 Kilometer entfernt. Mehrere hundert LKW-Fahrten waren nötig, um den Kraftstoff dorthin zu transportieren. »Das war zeitraubend, kostspielig – und der Moment, in dem unsere Idee entstand: ein Tauchroboter, der mit Flüssigkeit gefüllte Tanks inspiziert, ohne Abpumpen und ohne Stillstand des laufenden Tankbetriebs«, erinnert sich Oksana Leonidova, Geschäftsführerin von TÜV Nord Baltik und TÜV NORD Scandinavia. Die bisher verfügbaren Roboter wiegen oft weit über 100 Kilogramm, sind unflexibel und teuer im Einsatz. »Unsere Innovation soll bis Juni 2021 auf den Markt kommen: ein smarter Roboter, der mit ca. 17 Kilogramm nicht nur ein Leichtgewicht ist, sondern auch eine schnelle, sichere und günstige Tankinspektion ermöglicht – für Kunden weltweit«, so Leonidova.

Oksana Leonidova und Andrejs Moisejenko, TÜV Nord Baltik

 

Andrejs Moisejenko, Head of TÜV Nord Baltic Inspection Department, entwickelt als Leiter dieses Projekts den Prototypen – unterstützt durch ein internationales Team und in Kooperation mit einem Roboterhersteller. »Beim Produktdesign steht Sicherheit an erster Stelle, damit ein absolut zuverlässiger Betrieb garantiert ist«, betont er. Die Roboterhülle muss die empfindlichen Sensoren und Elektronikkomponenten vor einem extremen Umfeld schützen, zum Beispiel vor explosiven Kraftstoffen oder Chemikalien. Deshalb ist auch die ATEX-Zertifizierung, die europäische Richtlinie zum Explosionsschutz, einer der fundamentalen Schritte. Durchgeführt wird sie von einer unabhängigen Prüfstelle außerhalb der TÜV NORD GROUP.

 

Der Tauchroboter soll künftig auch Raum für Individualisierung bieten, sodass das Tank-Monitoring genau an den Kundenbedarf angepasst werden kann. Darüber hinaus eröffnen sich weitere Chancen: Sachverständige am Monitor etwa können die digitalen Daten in Echtzeit erfassen. Perspektivisch ist es geplant, künstliche Intelligenz (KI) zu integrieren, durch die der Roboter eigenständig lernen und bestimmte Analysen vornehmen sowie Bewertungen der Messwerte abgeben könnte. Auf dieser Basis ließe sich jede nötige Maßnahme schneller und exakter einleiten. Ein wertvoller Wissensgewinn für Raffinerien, Ölhandelsfirmen und die chemische Industrie – und eine Vision, die schon bald Realität sein kann.

 

 

Smartes Wissen aus der Vogelperspektive

Wissen, das dem Klima hilft:
Wie eine Drohne zur umweltfreundlichen Mobilität beiträgt

Pendlerinnen und Pendler, die im Sommer 2020 in Mettmann über den Park+Ride-Parkplätzen ein Surren hörten und den Blick gen Himmel richteten, konnten in rund 40 Metern Höhe eine Drohne erspähen. Was sie nicht ahnten: Dieses Flugobjekt war unterwegs, um ihnen das mobile Leben zu erleichtern. So soll es zukünftig einfacher werden, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen – durch Messsysteme, die via App melden, ob und wo aktuell Parkplätze frei sind. Doch wie gut sind solche Messsysteme? Genau diese Frage stellte sich der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und bat TÜV NORD Mobilität um Rat.

Heiko Ehrich und Lars Tolksdorf, TÜV NORD Mobilität

 

Die Verlässlichkeit des eingesetzten Systems ist für den VRR entscheidend: um Pendlerinnen und Pendlern einen wohnortnahen Umstieg auf Park+Ride schmackhaft zu machen, so einen Großteil der Wege auf den Nahverkehr zu verlagern – und das Verkehrsaufkommen in den Städten zu reduzieren. Heiko Ehrich, Fachgebietsleiter Automotive Electronics beim Institut für Fahrzeugtechnik und Mobilität (IFM), erläutert: »Bevor der VRR seine knapp 200 Park+Ride-Anlagen technisch aufrüstet, wollte er wissen, wie genau und echtzeitfähig die verschiedenen Messsysteme sind. Mithilfe der Drohne konnten wir eine verlässliche Entscheidungsgrundlage liefern – effizienter, weniger aufwendig und billiger als beispielsweise mit fest installierten Kameras.« Auf zwei Test-Parkplätzen in Mettmann startete das IFM das Pilotprojekt über einen Zeitraum von sechs Wochen. Lars Tolksdorf, leidenschaftlicher Drohnenpilot und dual Studierender bei TÜV NORD Mobilität, begleitete das Projekt. »Unsere Drohnen haben exakte Luftbilder geliefert, die wir dann mit den Daten der auf dem Parkplatz installierten Mess­systeme verglichen haben. Dank der hohen Bildqualität konnten wir eine fundierte Analyse abgeben«, berichtet er. Überrascht hat ihn nur, dass die getesteten Systeme wie Magnetfeld-, Kamera- und Drucksensoren die Parkplatzsituation oft sehr unterschiedlich bewertet haben. So war manchmal ein quer stehender Lieferwagen oder ein auf dem Boden liegendes Werkzeug für einige Messsysteme schwer zu interpretieren. Doch wie präzise oder fehleranfällig diese in welcher Situation reagieren, konnte das TÜV NORD-Team dem VRR klar darlegen.

 

Hat sich die Drohne als fliegendes Prüfinstrument bewährt? Heiko Ehrich ist überzeugt: »Die Methode hat uns umfassende und genaue Daten geliefert – und das in einer sehr komplexen Umgebung bei relativ geringem Aufwand. Wir können uns zahlreiche weitere Anwendungsbereiche vorstellen, zum Beispiel bei der Prüfung von auch autonom fahrenden Autos.«